„Eines Tages werden wir auf den ersten Börsentag zurückschauen und erkennen, dass das der Höhepunkt der Facebook-Geschichte war“, orakeln Skeptiker. Ist der Hype tatsächlich bald vorbei? Oder ist Facebook wie Apple – und wird sich immer wieder selbst übertreffen?
„Was hat uns Facebook eigentlich gebracht?“, fragen sich viele dieser Tage. Sicher, man kann problemlos auch mit flüchtigen Bekannten Kontakt halten oder die alte Jugendliebe wiederfinden. Schüchterne Teenager können via Social Network leichter Freundschaften knüpfen, und kaum ein Unternehmen oder eine Person des öffentlichen Lebens kommt noch ohne die Plattform aus. Aber was ist mit Cyber-Mobbing, Datenschutz oder schlicht und einfach der Zeit, die das Spielzeug Facebook kostet?
Wenige Tage vor dem milliardenschweren Börsengang des Unternehmens arbeitet sich die Öffentlichkeit an dem Phänomen Soziale Netzwerke im Allgemeinen und Facebook im Besonderen ab. „Was fasziniert 901 Millionen Menschen an dieser Plattform?“, fragt sich nicht nur der „Spiegel“. Warum macht es Millionen von Teenager-Mädchen glücklich, sich gegenseitig „Süüüüßßßeee“ zu nennen? Warum fotografieren sich unzählige Jungen Tag für Tag in möglichst coolen Posen? Und was haben Erwachsene dort eigentlich zu suchen?
Das bessere Ich
„Auf Facebook kann jeder ein bisschen witziger, cooler und schöner sein, als im wahren Leben“, erklärte jüngst, nein, kein Teenager, sondern ein gestandener Familienvater einer misstrauischen Freundin. „Das ist wie wenn man ins Büro kommt und eine lustige Geschichte darüber erzählt, was gerade beim Einparken passiert ist – es muss gar nicht so witzig gewesen sein, wichtig ist die Story.“
Facebook als virtueller Schulhof, Büroküche oder ganz allgemeiner Klatsch- und Tratschort. Keine schlechte Definition, betrachtet man die Einträge einiger Facebook-„Freunde“, an deren Leben man teilnimmt, auch wenn man sie nur flüchtig kennt. Bilder von Urlauben, der Hochzeit, dem Baby, Kommentare zur Politik, Musik, Film und Fernsehen und wenn es gut läuft, jede Menge „Gefällt mir“s darunter. Da lässt sich doch der Streit über den Abwasch besser ertragen, wenn 20 Leute einem kurz vorher bestätigt haben, was für ein schönes Paar man sei oder was für ein unfassbar interessantes Leben man habe.
Manche Trends sterben nie
Einen Hype zu erklären ist meistens so gut wie unmöglich. Zu fragen, warum Facebook StudiVz oder MySpace gnadenlos überholt hat, ist wie die Frage, warum das Videoformat VHS damals Video 2000 aus dem Rennen geworfen hat. Sicherlich gab und gibt es technische oder wirtschaftliche Gründe, aber am Ende zählt immer: Die Masse hat Recht. Und die Masse will offenbar nicht „gruscheln“ (StudiVz) sondern „anstupsen“ (Facebook).
Auf der anderen Seite weiß jeder Trendsetter, dass ein Trend tot ist, wenn er erst einmal zum Massenphänomen wird. So haben sich auch bei Facebook viele Nutzer der ersten Stunde wieder abgemeldet, als es ihnen zu voll wurde. Und für viele Jugendliche sei spätestens mit der Freundschaftsanfrage der Eltern Schluss mit dem Netzwerkspaß gewesen, erzählen sich die Experten wissend. Nur: Viele kamen offensichtlich wieder zurück. Entweder unter neuem Namen oder gereift genug, um die Freundschaftsanfrage von Mama anzunehmen oder ignorieren zu können.
Auch so manches Unternehmen wurde nach einem Mega-Hype abgeschrieben und kehrte dennoch wie Phoenix aus der Asche wieder an den Markt zurück. Wie die US-Firma Crocs, deren bunte Kunststoffschuhe Anfang der Nullerjahre die Straßen beherrschten. 2007 schienen dann alle genug zu haben von den „hässlichen Plastiklatschen“, egal, wie bequem sie waren. Der Umsatz brach ein, der Aktienkurs auch. Mehrere hundert Mitarbeiter verloren ihre Jobs. Doch Crocs gab nicht auf, erweiterte die Produktpalette um Schuhe für jede denkbare Gelegenheit und setzte im abgelaufenen Geschäftsjahr erstmals mehr als eine Milliarde Dollar um.
„One more thing“
Selbst die heißeste Marke aller Zeiten, Apple, hat schwere Zeiten hinter sich. 1995 sah es schlecht aus für das Unternehmen. Mit dem Start von Windows 95 stellte Konkurrent Microsoft den Markt auf den Kopf. Der technologische Fortschritt, den sich Apple mit seinem Macintosh-System erarbeitet hatte, schien dahin. Zehn Jahre später war Apple wieder ganz vorne mit dabei und liefert seither ein Must-Have-Spielzeug nach dem anderen: iPod, iPhone, iPad – die Kundengemeinde hielt regelmäßig den Atem an, wenn Steve Jobs auf die Bühne trat und mit seinem unnachahmlichen „One more thing“ etwas unglaublich Begehrenswertes aus der Hosentasche zog. Bei seinem Tod im Oktober 2011 wurde kein visionärer Unternehmer betrauert, sondern eine Ikone.
Sicher ist ein mit Umsatzeinbrüchen kämpfendes Unternehmen, wie Apple im Jahr 1995, nicht mit einem Unternehmen zu vergleichen, das vor einem 100-Milliarden-Dollar Börsengang steht. Die Frage, die sich hier stellt, ist jedoch, ob es Gründer Mark Zuckerberg gelingen wird, sein Konzern auf Steve-Jobs-Art immer wieder neu zu erfinden. Noch vor wenigen Jahren hätte niemand sich vorstellen können, dass ein solches Netzwerk überhaupt ein größeres Publikum ansprechen könnte. Heute nehmen sich die Leute schon bewusst Auszeiten von Facebook – Fasten im Zeiten des Internets.
Ob Facebook alle Versprechen an der Börse einhalten kann, sei dahingestellt. Doch zumindest stehen die Chancen nicht schlecht, dass der 27-jährige Facebook-Gründer und Jung-Milliardär Zuckerberg die Welt vielleicht noch das eine oder andere Mal überraschen wird. Dass einige Analysten ihn für ein Kind halten, das „nicht weiß, wie ein 100-Milliarden-Dollar-Unternehmen zu führen ist“, kann er getrost an sich abperlen lassen. Immerhin hat er dieses Unternehmen geschaffen. Und damit 901 Millionen Freunde gewonnen. Wer kann das schon von sich behaupten?
(Quelle: www.n-tv.de)